aus der HirnforschUNG

... über Mathe Lernen, natürlich!

1. Jeder kann erfolgreich Mathe Lernen

Etliche Studien belegen es: wir haben einen angeborenen Sinn für Mengen. Die Wissenschaft spricht vom Zahlensinn. Außerdem ist unser Hirn ein Leben lang zu weitgehender Entwicklung und Anpassung in der Lage. Wir können wann immer wir wollen lernen, unser sich stets anpassendes Hirn macht dies möglich.

Ein tolles Beispiel ist der vergrößerte Hippocampus von städtischen Taxifahrern nach ihrer Prüfung, nachdem sie tausende von Straßennamen und Örtlichkeiten lernen mussten. Mit dem Ausscheiden aus dem Beruf verkleinert die Hirnregion sich wieder. Ähnliches wurde bei Musikern festgestellt. Auch wenn wir mit verschiedenen Gehirnen geboren werden, so ist jeder Moment unseres Lebens eine Chance zu lernen und unser Hirn zu verschalten. Sogar die Menschen, die wir als Genie erkennen, arbeiteten viel, leidenschaftlich und ausdauernd für ihr Thema oder ihr Ziel.

 

Es wirkt tatsächlich manches Mal so, als wären Aufgaben/Themen nicht zu bewältigen, viele Fragen stellen sich und es fühlt sich an als würde man fest stecken. Dann gilt es aber ganz klar am Ball zu bleiben und sich nicht zu verstecken hinter dem Mythos "das geht eben nicht". Also, keine Angst vor dem Ausprobieren, Nachfragen, Erforschen, vor Fehlern, dies sind wichtige und natürliche Teile des Lernweges!

 

Manch einem Schüler erging es in Mathe nicht gut, z.B. schlechte Erlebnisse, fehlende Hilfe, Ängste, Selbstzweifel. Womöglich liegt man in Mathe zurück. Das heißt aber nicht, dass dies so bleiben muß! Jeder kann Mathe lernen! Mit Lernklarheit und guter Lehre/Förderung kann sich Jeder wieder anschließen und für sich erfolgreich Mathe lernen.

2. Das Talent-Gerede ist falsch und schadet

Die Mythen oder Gerüchte über "Zahlenmenschen" oder "Mathe-Asse" schaden! Sie behindern Schüler und Gesellschaft.

 

Nur wenige der Schüler, die tatsächlich gut sein könnten in Mathe, trauen sich zu diesen Weg zu gehen (dies gilt i.a. für Naturwissenschaften). Das ist unfair, das ist falsch. Auf diese Weise werden Schüler benachteiligt, ihre Möglichkeiten und ihre Auswahl wird beschränkt.

 

Leider zeigt sich hier auch ein geschlechtsspezifischer Effekt, der so sicherlich nicht gewollt und nicht zu verantworten ist. Uns gehen wertvolle Kompetenzen und Persönlichkeiten in mathematischen bzw. naturwissenschaftlichen Disziplinen verloren. Der Großteil der Studierenden in diesen Bereichen ist männlich, unsere Mädchen trauen sich nicht zu das angebliche "Talent dafür" zu haben. Wie gesagt, das ist unfair, das ist falsch!

3. Ein Gehirn wächst mit Lernanstrengung und Fehlern

Beim Üben, Lernen, Arbeiten steckt der Mensch in einer engagierten Anstrengung um Lösung, Einsicht, Klarheit, Richtigkeit. Natürlicher Teil dieser Anstrengung sind Ausprobieren, Zögern, Wiederholen, Fehler machen, Irrtümer korrigieren, neue Versuche. Und jede einzelne dieser Anstrengungen trainiert das Hirn, indem Nervenfasern aktiviert werden und damit gestärkt werden. Je öfter und intensiver Nervenfasern aktiviert werden, umso stärker baut der Körper sie aus (mit Myelin) und umso leistungsfähiger werden sie ... Hochleistungsstrassen, Autobahnen, o.ä.

 

Die neueste Hirnforschung zum Thema "Lernen und Fehler" ist ganz wesentlich für Mathe: Fehler zu machen ist wichtig! Sie sind nicht nur eine Quelle für wichtige Einsichten in Zusammenhänge, sie fördern auch die so entscheidende Anstrengung, durch die unser Hirn gestärkt wird. Es ist kritisch, wenn geglaubt wird, dass Fehler in Mathe furchtbar sind und mangelndes Talent bedeuten.

 

Interesse an Fehlern kann gepflegt werden! In einer Studie von Gabriele Steuer 2013 wurde das Lernklima im Matheunterricht verschiedener Klassen sowie die Lernmotivation ihrer Schüler untersucht. Ergebnis: Wenn Schüler in ihren Klassen keine Angst vor Fehlern haben mussten, dann waren sie anstrengungsbereiter und motivierter. Letztlich werden sie erfolgreicher lernen.

4. Zeitdruck ist fehl am Platze in Mathe

In vielen Klassen ist schnelles Rechnen angesagt. Leider, denn dies ist keine sinnvolle Aufgabe. Mit Zeitdruck und Leistungserwartungen erlebt der Körper inkl. Gehirn über die Amygdala-Signale eine ungute Stressreaktion. In diesem Zustand werden natürlicherweise Gedächtnisinhalte blockiert, die Selbststeuerung gehemmt und Unsicherheit, Verwirrung oder Langsamkeit verursacht/ verstärkt. Schüler erleben dies als "Ausfälle".

 

Vor dem Hintergrund dieser stressigen und natürlicherweise bedrohlichen Erfahrungen in Mathe können Schüler leider grundsätzliche Ängste und Selbstzweifel in Verbindung mit Mathe entwickeln. Studien zufolge betrifft dies gut ein Drittel der Schüler und darunter sogar Grundschüler. Wissenschaftler sprechen von Mathe-Angst. Mathe-Angst ist ein so extremes Gefühl, dass sie die Lernklarheit bzgl. Matheleistungen grundsätzlich trübt. Sie kann motivierendere und lern-wirksamere Mathe-Erfahrungen sogar überschreiben und sich sehr ausdauernd festsetzen. 

 

Zeitdruck ist auch gar nicht wichtig, denn in Mathe geht es vor allem um Ideen, Entdeckungen, tiefe Denkvorgänge, Konzeptionen. Viele berühmte Mathematiker waren keine schnellen Denker. Laurent Schwartz beispielsweise (1950 erhielt er die Fields Medal für seine herausragende mathematische Arbeit) schrieb in seiner Autobiographie, dass er in der Schule immer der Langsamste in Mathe war und sich dumm fühlte weil er genau und tief verstehen wollte.

 

 

"Ich war immer sehr unsicher und dachte, ich sei nur wenig intelligent.

Ich bin eher langsam, weil ich alles immer genau verstehen muss und möchte.

Gegen Ende der elften Klasse, dachte ich von mir selbst, ich sei einfach dumm.

Aber ich erkannte, dass Schnelligkeit nichts mit Intelligenz zu tun hat.

Wichtig ist, Dinge tief zu verstehen und ihre Beziehungen zu erkennen.

Das ist wo Intelligenz ins Spiel kommt. Schnell oder langsam zu sein ist
nicht relevant."

 

Laurent Schwartz, frz. Mathematiker *1915

Er wurde geehrt mit der Mathe Fields-Medaille

(analog zum Nobel-Preis)

 

 

Nein, nicht schnell, sondern tief und genau verstehen, dabei möglichst symbolische, visuelle und räumliche Informationen nutzen, um verschiedene Hirnareale anzusprechen und ihre Verknüpfungen zu stärken.

5. Matheleistung wird beeinflusst von Erwartungen

... beeinflusst von Erwartungen der Eltern

Eltern müssen ihren Kindern positive Botschaften für Mathe mit auf den Weg geben, wie z.B. "Das kannst du, ich kenne dich doch. Mathe bietet wundervolle Möglichkeiten und braucht deinen Einsatz." Etliche Studien haben es gezeigt:

  • Botschaften, die Schüler mit auf den Weg gegeben werden, können ihre Leistung immens verändern
    Vermitteln Eltern die Botschaft "ich konnte Mathe nicht" oder "Mathe ist schrecklich", so belegen Studien, dass die Matheleistung ihrer Kinder unmittelbar absinkt. Dies v.a. dann, wenn diese "mathe-ängstlichen" Eltern ihren Kindern auch noch versuchen bei Matheübungen zu helfen.
  • Schüler brauchen die Zuversicht, dass wichtige Erwachsene in ihrem Leben an sie glauben
    Die daraus erwachsene Zuversicht über die eigenen Fähigkeiten und das eigene Potential sind wichtige Voraussetzung dafür, um Mathe mit gesunder Neugier und Sicherheit angehen und erfolgreich lernen zu können. 

... beeinflusst von Erwartungen der Lehrer 

Diverse Studien haben uns gezeigt, dass die Leistungserwartung von Lehrern sich in tatsächlichen Leistungen ihrer Schüler niederschlagen. In einer Studie vor vielen Jahren beispielsweise wurde teilnehmende Lehrern die falsche Information gegeben, dass ihre Schüler überdurchschnittlich begabt seien. Am Ende des Schuljahres schnitten genau diese Schüler erstaunlicherweise deutlich besser ab als die anderen Schüler. Und erst vor Kurzem zeigte eine Studie, dass die Hälfte der Schüler einer Klasse ihre Leistung innerhalb eines Schuljahres deutlich verbessert hatten, die unter ihrem ersten Aufsatz den Kommentar des Lehrers fanden "Hier findest Du mein ausführliches Feedback, weil ich glaube, dass Du sehr gut sein kannst." Dieser Kommentar wurde zufällig verteilt und der Lehrer wußte nicht, welchen Schülern er gegeben wurde. Lehrerworte haben Gewicht und ihre vermittelte Erwartung haben Gewicht!

 

... beeinflusst von Erwartungen des Schülers selbst 

Vielfach belegt wurde, dass die eigene Lernklarheit ("growth mindset") letztlich essentiell ist für erfolgreiche Lernwege. Dies ist so, weil der eigene Glaube an Lernwege das eigene Verhalten bestimmt - auch das Lernverhalten - und damit die Bedingungen für Lernerfolge.

 

Alle Menschen mit positiver Lernklarheit und solche, die es schafften ihre Lernklarheit zu stärken, lernen mit Ausdauer, sie bleiben am Ball auch wenn es schwieriger und anstrengender wird. Um etwas zu Lernen passen diese Menschen ihr Lernverhalten wirksam an und nehmen so schrittweise und engagiert Einfluss auf ihren Weg in Richtung Lernerfolg.

 

Eine interessante Hirnstudie zeigte, dass Lernklarheit die Hirnaktivität bei Fehlern beeinflusst. Hat ein Schüler eine positive, starke Lernklarheit, so zeigt sein Hirn sich immens aktiv im Falle von Fehlern, es ist sofort dabei den Fehler zu erforschen und gleichfalls daran zu wachsen. 

 

Also, tu' dir das nicht an! Nachgewiesenermaßen schwächt man sich selbst mit schwacher, fehlender Lernklarheit! Die zeigt sich oft in Selbstzweifel, Vermeidungshaltung, negativen Glaubenssätzen, o.ä.

6. Visualisiertes Arbeiten hilft wirksam

Jeder lernt umso erfolgreicher, je mehrere Bereiche des Hirns aktiviert werden bzw. daran beteiligt sind. Im Falle von "Mathe lernen" zeigen vor allem visuelle Aufgabenstellungen einen erfolgsversprechenden Effekt. Diese unterstützen abstraktes und kreatives Denken sowie den Austausch über Lösungsansätze.

7. Prüfungen müssen hirn-freundlich sein

Tests, Arbeiten und Prüfungen, die mit Noten oder Punkten versehen werden, haben das Potential Mathe-Frust oder sogar Schul-Frust zu verursachen. Erhalten Schüler hingegen konstruktives Feedback bzw. Lernkommentare (ohne Noten oder Punkte), wächst ihre Zuversicht, ihre Motivation und letztlich ihre Lernleistung. Studien belegen die: Lehrer, die Lern-Überprüfungen mit konstruktivem Lernfeedback (Assessment for Learning) eingeführt haben (ohne Noten oder Punkte) führen ihre Schüler zu besseren Lernergebnissen. Mittels dieser Prüfungs- und Feedbackkultur entwickelten sich ihre Schüler zu eigenständigen Lernern, die selbst wissen, was gelernt werden muss, wo sie stehen, was sie brauchen und was ihnen helfen kann.