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Wir haben den Zahlensinn!

Es ist anerkannter Stand der Wissenschaft: wir Menschen verfügen natürlicherweise über den Zahlensinn (auch "Number Sense"). Wir alle verfügen über ein Art angeborene "mathematische Intuition" (Hintergründe aus der Wissenschaft hierzu am Schluss dieser Seite).

 

Unser angeborener Zahlensinn befähigt uns 

  • Mengen wahrnehmen, abschätzen und ungefähr bestimmen zu können
  • Mengen unterscheiden und vergleichen zu können
  • Veränderungen von Mengen erkennen und ungefähr bestimmen zu können (heißt rechnen zu können) 

Auf diesen natürlichen Zahlensinn baut die weitere natürliche und schulische Entwicklung mathematischer Einsichten und Kompetenzen auf. Der Zahlensinn gilt als Fundament der höheren Mathematik. Bereits Kleinkinder  gewinnen durch Beobachten, Spielen und Hantieren diverse Einsichten in die Welt der Mengen und Beziehungen - der Zahlensinn schärft sich dabei, bildet sich heraus, wird genauer und bewusster. Reichhaltige, spielerische Erfahrungen mit Mengen, Zahlen und entsprechenden Vokabeln ("Mathe ist die erste Fremdsprache" ;-)  ) sind nun viel wert, denn so werden im Hirn wichtige neuronale Strukturen angeregt und diverse beteiligte Areale verknüpft (Gehirnentwicklung). Diese Neuronen und ihre Vernetzung bilden die notwendige Hardware für das sich weiter entwickelnde Feingefühl für Mengen, für Zahlen und für ihre Zusammenhänge, grundlegende Einsichten und Fertigkeiten.

 

Spiele und Lieder sprechen den Zahlensinn an und fördern dessen gute Entwicklung:

Spielerischer Umgang mit Mengen

  • eine kleine Anzahl Knöpfe und keine kleine Anzahl Löffel nebeneinander auslegen, immer eine Knopf neben einen Löffel und dabei zählen und vergleichen
  • eine kleine Anzahl Steine in eine Reihe legen, zwei wegnehmen oder dazu legen und vorher-nachher vergleichen
  • "Essen servieren" mit z.B. rohen Nudeln: verteile 10 Nudeln auf die Teller (wie viele je Portion/Teller?) oder gibt Jedem 1 Nudel mehr (wie viele insgesamt mehr?) oder gib zwei Nudel von einem Teller auf einen anderen (wie verändert sich die Portion und die Gesamtzahl?)
  • sitzt die Familie zusammen am Tisch, laden solche Frage ein Zusammenhänge zu erforschen: "Wie viele Füsse sind jetzt unter dem Tisch?"
  • eine kleine, allen bekannte Anzahl Murmeln in beiden Händen halten, auf "Husch!" eine Hand mit ein paar dieser Murmeln hinter dem Rücken verstecken und die andere Hand mit den restlichen Murmeln zeigen: "Wie viele habe ich in der Hand hinter dem Rücken?"

Spielerische Einübung der Zahlenreihe (zählen, abzählen, weiter zählen, rückwärts zählen)

  • Hüpfekästchen, Seilchenspringen, o.ä.
  • Brettspiele, z.B. Schlangen & Leitern

Spielerische Verknüpfung der Zahlen und Zahlworte mit den zugehörigen Mengenbildern

  • Wieviele?-Memory (Pärchen aus Mengen- und Zahldarstellungen)
  • Zahlreime und Zähllieder
  • Zahl-Mengen-Bilder malen und kleben 

Spielerische Eroberung von Zeit und Raum 

  • Wo-ist-es-genau? - Zuordnung von in, auf, unter, neben, über, hinter, vor, höher, tiefer, weiter, näher
  • Wann-passiert-es? - Zuordnung von morgens, abends, früher, später, Jahreszeiten, Wochenzeiten
  • Was-ist-es? - Ratespiel anhand von Tipps zur Form, Farbe, Lage

Wie erkennt man den Zahlensinn?

 Sichtbar wird der Zahlensinn sehr augenfällig bei Kindern, die im Spiel "mathematisch hantieren", wenn sie 

  • sortieren nach Mengen, Größen, Eigenschaften 
  • vergleichen mit größer/kleiner, mehr/weniger, länger/kürzer, höher/tiefer, lauter/leiser, heller/dunkler, etc.
  • zuordnen, z.B. beim Tischdecken je einen Teller und eine Gabel
  • wenn fünf Nüsse auf dem Tisch liegen und sie "in ihnen" auch drei oder vier oder zwei Nüsse sehen (=Zahlzerlegung!)

Oder weitere Beispiele im späteren Verlauf der Mathe-Entwicklung:

  • Die 6 beispielsweise  wird je nach Aufgabe als 6, als 2-2-2, als 3-3, als 4-2, als 5-1 betrachtet (s.o. Beispiel mit den Nüssen). Diese flexible Zerlegung von Zahlen in kleinere Zahlen bzw. ihre Teile nutzen wir - oft ganz natürlicherweise, "zahlensinnig" - um Aufgaben übersichtlicher zu machen und um flexibel oder "geschickt" zu arbeiten.
  • Der Zahlensinn greift auch beim Einmaleins: wollen wir 7*8 (7 mal 8) lösen, so kann Jemand zwar auswendig 56 aufsagen, aber er kann auch "zahlensinnig" und flexibel hantieren: entweder 7x7 sind 49 und einmal mehr die 7 sind 49+7 also 56 ... oder ... 10x7 sind 70 und zwei 7 weniger sind 70-14 sind 56. Diese Zusammenhänge gilt es beim Einmaleins zu erforschen und zu verinnerlichen, denn das macht erfolgreicher als blindes Auswendiglernen!

"Zahlensinnig" denken und arbeiten heißt, man kann, muss aber nicht auf auswendiges Wissen zurück greifen. In Mathe geht es nicht um Auswendiglernen; "Mathe lernen" heißt eben NICHT Aufgabenlisten und Formeln und Regeln aufsagen können. "Mathe lernen" heißt vielmehr, das mathematische Können über den natürlichen Zahlensinn hinaus zu schärfen und zu entwickeln. Dazu sollten Schüler stets dazu herausgefordert werden, mathematische Zusammenhänge zu entdecken und in vielerlei Aufgabenstellungen anzuwenden. Hierbei können sie sich ein tieferes Verständnis erarbeiten und natürlich auch mathematische Fakten einprägen. Schnelligkeit spielt hierbei keine Rolle, vielmehr das Erschließen von Zusammenhängen, Erkennen Mustern und Visualisieren von Lösungsansätzen.

Und wenn nicht?

Der Zahlensinn ist sichtbar und trotzdem läuft es im Matheunterricht nicht? Nun, dazu ist sich die Forschungsgemeinschaft heute weitgehend einig und das macht Mut:

  • Mathe-Probleme vieler Schüler können zurückgeführt werden auf Bildungslücken. Vor dem Hintergrund des angeborenen Zahlensinns ist die Mathelehre entscheidend. Es ist davon auszugehen, dass bei diesen Schülern in der frühen Mathebildung Missverständnisse und Verständnislücken entstanden sind. Diese Lücken können gezielt geschlossen werden in kompetenter Mathe-Förderung.

  • Die frühzeitige Erkennung von Mathe-Problemen grundsätzlicher bzw. anlagebedingter Art (die eher die große Ausnahme darstellen) ist möglich und entscheidend. Mit gezielten Interventionen im Kleinkindalter können wesentliche Hirnareale und ihre Verbindungen angeregt und so die entscheidende neuronale Entwicklung gefördert, gestärkt und ergänzt werden.

Erfolgreich Mathe lernen kann also Jeder! Wegbereiter sind Lernklarheit und eine gute, individuell wirksame Lehre! Jeder Schüler hat hierzu ein verbrieftes Grundrecht, wie die Kultusministerkonferenz schreibt ... "Das Bildungswesen nimmt eine Schlüsselrolle für die individuelle Entwicklung, für gesellschaftliche Teilhabe sowie für das berufliche Fortkommen des Einzelnen, aber auch für den wirtschaftlichen Erfolg und den sozialen Zusammenhalt eines Landes ein. Damit bleibt die Herausforderung, die Bildungsqualität insgesamt zu erhöhen und gleichzeitig die Bildungschancen für alle Schüler zu verbessern, als zentrale Aufgabe für eine zukunftsweisende Bildungspolitik bestehen." 

Weitere Hintergründe aus der Forschung

"Number Sense" wurde von Stanislas Dehaene (frz. Neurowissenschaftler) in seinem gleichnamigen Buch bereits 1997 aufgezeigt und mit entsprechenden Ergebnissen aus der Hirnforschung belegt. Erstmalig genannt wurde er von Tobias Dantzig 1955. Seither wurde der Zahlensinn vielfach bestätigt und in weiteren Details und Zusammenhängen erforscht. 

 

Beeindruckend sind die Erkenntnisse der Forschung mit Babys. Bereits kurz nach der Geburt zeigt der Mensch seinen Zahlensinn. Babys können übersichtliche Mengen einschätzen, bestimmen sicher die größere Menge und bemerken wenn eine Menge von Objekten sich verändert. Eine ähnliche Grundkompetenz des Menschen wurde mit Säuglingen im Bereich der Geometrie erforscht. Säuglinge können Figuren und Winkel wahrnehmen und unterscheiden, und zwar visuell und haptisch. Diese Erkenntnisse basieren auf Forschungen, in denen der Blickkontakt und damit das aufmerksame Interesse des Säuglings verfolgt und gemessen wird. Es geht noch weiter: der Zahlensinn wurde bei allen Säugetieren, den meisten Vogelarten und Fischen nachgewiesen.